AUF DER KIPPE – Ausstellungsdesign, 2019

Fotos © David Schreyer

Achsensprung im Faltraum. Zum Design der Ausstellung

Die Architektur der Ausstellung Auf der Kippe. Eine Konfliktgeschichte des Tabaks ist als Faltraum konzipiert in den die BesucherInnen ein- und abtauchen. Die räumliche Inszenierung variiert und führt so zu Wahrnehmungswechseln. Die vielfältigen Ebenen der Lesbarkeit zielen darauf ab, die gewohnten Sichtweisen zu verändern. Mythen und Geheimnisse rund um Tabak werden durch die Präsentationsweise Schritt für Schritt entfaltet.

Dass das Thema im kulturhistorischen und gesellschaftspolitischen Kontext polarisiert und doch unterschiedlichste Betrachtungsweisen zulässt, hat sich im Austausch mit dem Kurator Günther Moschig sehr schnell herauskristallisiert. Die Aufgabenstellung war daher die Entwicklung eines räumlichen Konzepts, das den BetrachterInnen die Möglichkeit einräumt, die Mannigfaltigkeit des Themas zu begreifen und sich mit verschiedensten Perspektiven auf das Rauchen auseinanderzusetzen.

Das räumliche Konzept bedient sich dazu der Methode der Faltung. Der französische Philosoph Gilles Deleuze wertete die in der barocken Malerei überreich mit Falten versehene Kleidung einst als Zeichen für den Bruch mit dem Raum der Renaissance. Hier wie im architektonischen Kontext lösen Falten die strukturelle Starrheit der Perspektive auf. Durch die Fortbewegung im Raum verändern sich die Blickpunkte, die Blickachsen wandeln sich durch die plastisch gefalteten Ausstellungswände dynamisch. Dadurch eröffnen sich den BesucherInnen neue Blickwinkel. Das Ausstellungsdesign bietet dem Publikum somit die Möglichkeit, sich dem Thema von mehreren Seiten gleichzeitig anzunähern.

Der Besucher, der sich durch den Raum bewegt, wird zum Kameramann eines Filmsettings bei dem der sogenannte Achsensprung zum Einsatz kommt. Das ist eine Schnitttechnik, die dazu dient, die Beziehungsachse der AkteurInnen zu überspringen. Es werden zwei Kameras, die gegenüberliegende Standpunkte einnehmen, auf eine Szene gerichtet. Der Zuseher sieht ein und dieselbe Szene einmal von der einen dann von der anderen Seite. Das Ausstellungs-Setting gibt zwei Hauptblickrichtungen vor: den Blick nach vorne und den Blick nach hinten. Die Ausstellungswände sind im 90-Grad-Winkel gefaltet und so im Ausstellungsraum positioniert, dass eine Seite der Wände zum Eingang zeigt und die andere in die gegenüberliegende Richtung. Die BesucherInnen haben beim Betreten des Raums daher nur einen Teil der Ausstellung im Blick. Je tiefer sie sich in den Raum begeben umso weiter öffnet sich das Blickfeld. Es ändern sich die Wahrnehmungsebenen. Am Ende kehren sich die Verhältnisse regelrecht um. Die Sichtweise der Dinge hat sich aktiv verändert.

Die mittels Licht eingefärbten Faltwände erscheinen einmal warm einmal kühl. Die Lichtfarbe ist auf die jeweiligen Inhalte abgestimmt, die Farbtemperatur wurde im Dialog mit dem Kurator gewählt. Die Vitrinen erscheinen in unterschiedlichen Weißlichttönen. Auch die Vitrinen sind Bestandteil der Faltwände, ihre Verglasung läuft ums Eck und Einblicke sind von beiden Seiten aus möglich. Die darin platzierten Ausstellungsobjekte sind daher von nahezu allen Standpunkten im Raum sichtbar und verschränken die übergeordneten Themenblöcke miteinander. Zu einer expliziten Verschmelzung der Themen kommt es in den zentral positionierten Schaukästen, die in der Mitte der beiden Ausstellungsräume eine Art Tisch bilden. Im zweiten Raum bilden die Faltwände einen Rückzugsraum mit Sitzmöglichkeit. Erst am Ende der Ausstellung werden die BesucherInnen mit einer tagesaktuellen Fragestellung konfrontiert und entscheiden sich zwischen zwei Ausgängen: rauchen/nichtrauchen.

Beide Ausgänge führen in eine Lounge, die einlädt, sich zu setzen, zu entspannen, das Gesehene zu verarbeiten und nach einer kurzen Pause vielleicht nochmals durch die Ausstellung zu wandeln und für die eigene Kameraführung eine ganz andere Perspektive zu wählen.

 Textauszug aus dem Ausstellungskatalog: "Auf der Kippe - eine Konfliktgeschichte des Tabaks", 2019 Tiroler Landesmuseum-Betriebsgesellschaftm.b.H.

Kurator: Günther Moschig

Auftraggeber: Tiroler Landesmuseen